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Jahresbericht 1996

1. Rechtliche Rahmenbedingungen

1.1 Deutschland und Europa

Informationelle Selbstbestimmung - ein alter Hut?

Im vergangenen Jahr war es 25 Jahre her, daß eine Forschergruppe um den Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Steinmüller an der Universität Regensburg dem Bundesministerium des Innern ein Gutachten zu "Grundfragen des Datenschutzes" vorgelegt hat (Bundestags-Drucksache (BTDrs. VI/3826), Anlage 1). Dieses Gutachten war die Grundlage für die Gestaltung des künftigen Bundesdatenschutzgesetzes. Insbesondere enthielt die Ausarbeitung den Gedanken, daß das Grundgesetz "das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers über sein informationelles Personenmodell" (aaO S. 88) garantiere. Hieraus hat das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet, dessen Anerkennung im "Volkszählungsurteil" (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ( BVerfGE 65, 1 ff.) einen über die Bedeutung des ursprünglichen Datenschutzgesetzes weit hinausgehenden Wandel in der rechtlichen Bewertung der Verarbeitung personenbezogener Daten bewirkte. Der Regelungsbedarf für die Datenverarbeitung staatlicher Stellen, aber auch von Privatunternehmen wurde auch von jenen nicht mehr in Zweifel gezogen, die zuvor dem Gedanken des Datenschutzes zweifelnd oder gar ablehnend gegenüberstanden. Gerade in den Bereichen, in denen Informationseingriffe gravierend sein können, war der Bedarf besonders groß.

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, daß in den beiden Bereichen, die die staatliche Eingriffsverwaltung in besonderer Weise repräsentieren, nämlich der Strafverfolgung sowie der Finanzverwaltung, bis heute keine angemessenen Datenschutzregelungen in Kraft sind. Vielmehr scheinen im Gegenteil gerade hier diejenigen Kräfte wieder Raum zu gewinnen, die dem Datenschutz nicht nur ablehnend gegenüberstehen, sondern die darüber hinaus der von rechtsstaatlichen Einschränkungen befreiten Verarbeitung personenbezogener Daten das Wort reden.

Für die Strafverfolgung wird dies besonders deutlich an dem bereits längst in Vergessenheit gewähnten Slogan "Datenschutz ist Täterschutz", der im vergangenen Jahr wieder zunehmend häufig auch aus dem Munde verantwortlicher Politiker zu hören war. Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, der die Belange der Sicherheitsbehörden im Kreise der Datenschutzbeauftragten durchaus im Auge hat, hat diese Formulierung jüngst als einen "Kampfbegriff an der Grenze zur Verleumdung" bezeichnet (Süddeutsche Zeitung v. 17.1.97). Abgesehen davon, daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht ein Menschenrecht ist, das selbstverständlich auch Straftätern und erst recht Unverdächtigen im Strafverfahren zusteht, suggeriert diese Behauptung, die datenschutzrechtlichen Regelungen behinderten die Ermittlungsarbeit auf inakzeptable Weise.

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An den Regelungen in der Strafprozeßordnung (StPO) kann das nicht liegen: Diese enthält nach wie vor in § 163 nur eine allgemeine Aufgabenzuweisung zur "Erforschung" von Straftaten sowie in § 161 eine dem Wortlaut nach unbeschränkte Amtshilfevorschrift, deren Grenzen etwa im Bereich besonderer Amts- und Berufsgeheimnisse erst in die Vorschrift hineininterpretiert werden müssen. Lediglich einige spezielle Datenschutzvorschriften insbesondere im Sozialgesetzbuch enthalten Bestimmungen, die die zulässigen Auskünfte auch gegenüber Strafverfolgungsbehörden beschränken. Diese waren auch von Anfang an prompt Gegenstand heftigster Kritik sowie von Bemühungen, diese Beschränkungen wieder zurückzudrängen oder gar aufzuheben (vgl. unten 4.4.3). Im übrigen beziehen sich die Klagen häufig auf Auskunftsverweigerungen, bei denen sich die befragten Stellen zu Unrecht auf den Datenschutz berufen.

Der kurz vor Ende des Jahres von der Bundesregierung in das Parlament eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts Strafverfahrensänderungsgesetz 1996-(StVÄG 1996) (Bundesrats-Drucksache (BR-Drs.) 961/96) enthält zwar eine Reihe detaillierter Bestimmungen zur Nutzung personenbezogener Daten, läßt aber ebenfalls eine klare, auf die informationelle Selbstbestimmung orientierte Zielrichtung nicht erkennen. Vielmehr werden die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden deutlich ausgeweitet: Die Formulierung, die Polizeibeamten seien berechtigt, "Ermittlungen jeder Art vorzunehmen", ist mit der informationellen Selbstbestimmung, die eine normenklare Aussage verlangt, auf keinen Fall mehr vereinbar (vgl. unten 4.3.1).

Während bei der Justiz, wenn auch spät und unzureichend, zumindest das Bestreben erkennbar ist, durch eine Anpassung der StPO an die formalen Erfordernisse des Datenschutzes für die Strafverfolgung eine verfassungsmäßige Rechtslage zu schaffen, ist ein entsprechender Wille in der Finanzverwaltung nicht vorhanden. Seit vielen Jahren mahnen die Datenschutzbeauftragten die Aufnahme datenschutzgerechter Bestimmungen in die Abgabenordnung (AO) an, das Verfahrensrecht der Steuerverwaltung. Entsprechende Vorschläge wurden bislang nicht aufgegriffen. Um einen Fortschritt zu erzielen, wurde eine Erörterung zwischen Datenschutzbeauftragten und den sogenannten "AO-Referenten" angesetzt. Diese verlief völlig erfolglos. Nicht nur, daß die Ministerialbeamten die Vorschläge der Datenschutzbeauftragten im einzelnen ablehnten; vielmehr wurde das geradezu archaische Argument vertreten, die Existenz des Steuergeheimnisses mache es überflüssig, überhaupt Datenschutzregelungen zu erlassen. Die Beamten gingen so weit zu behaupten, die Forderung, durch gesetzliche Regelungen mehr Transparenz für den Steuerpflichtigen zu schaffen, gehe ins Leere, da die Bürger das Gesetz sowieso nicht lesen würden. Es ist kaum faßbar, daß bundesweit in einer Ministerialbürokratie den Bürger derart geringschätzende Äußerungen möglich sind.

Diese Befunde lassen darauf schließen, daß derzeit offensichtlich andere Prioritäten als die der Sicherstellung der Grundrechte gelten. Diese Vermutung wird gestärkt durch eine weitere Beobachtung: Angesichts schwieriger Probleme in der Gesellschaft nimmt offensichtlich die Bereitschaft zu, in mehr und mehr Bereichen Lösungen mit Mitteln zu suchen, die bisher polizeilichem Denken vorbehalten waren.

So wird die "Rasterung", also die systematische Durchforstung ganzer Datenbestände und deren Abgleich mit anderen Daten, zu einem vielfach begehrten Instrument der Verwaltungstätigkeit. Ursprünglich als unbestritten eingriffsintensives Mittel der polizeilichen Fahndung entwickelt, das ohne schwere Not nicht einsetzbar galt, wird dieses nunmehr verharmlosend "Datenabgleich" genannte Verfahren in allerlei Situationen als Allheilmittel betrachtet. Die Befugnis der Sozialhilfebehörden, derartige Rasterungen durchzuführen, wurde bereits vor Jahren in das Bundessozialhilfegesetz hineingeschrieben und im vergangenen Jahr noch verschärft (vgl. unten 4.4.3) Nur das Zögern des Bundesgesundheitsministeriums, eine entsprechende Verordnung zu erlassen, und technische Probleme vor Ort verhindern bisher eine flächendeckende Rasterung von Sozialdaten. Der Drang der Rundfunkanstalten, ihr Gebührenaufkommen dadurch zu erhöhen, daß alle Veränderungen im Melderegister mit den Beständen der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) "abgeglichen" werden (vgl. unten 4.2.1), lieferte im vergangenen Jahr in Berlin ein beredtes Beispiel, mit welchen Nachahmern noch zu rechnen ist.

Eine Steigerung erhält diese Tendenz, wenn eine zweite polizeiliche Methode in das Verfahren einbezogen wird: die erkennungsdienstliche Behandlung insbesondere in der Form der Daktyloskopie, der Abnahme und Auswertung von Fingerabdrücken. Ebenfalls früher in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren noch mit Zurückhaltung genutzt (Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 26, 169 ff.), wird sie zunehmend in ganz anderen Bereichen gefordert. Bereits vor zwei Jahren wurde bundesweit entgegen dem klaren Votum der Datenschutzbeauftragten die Möglichkeit der vollständigen daktyloskopischen Erfassung der Asylbewerber eingeführt, im vergangenen Jahr war über den (bislang gescheiterten) Versuch der Berliner Innenverwaltung zu berichten, alle bosnischen Kriegsflüchtlinge entsprechend zu erfassen; seit einiger Zeit wird die Erhebung entsprechender Daten von allen ausländischen Sozialhilfeempfängern diskutiert - das Bundeskriminalamt, das als einziges über die entsprechenden bundesweit einsetzbaren Techniken verfügt, als Erfüllungsgehilfe der Sozialämter!

Auch der Aufbau zentraler Vorratssammlungen personenbezogener Daten in einzelnen Bereichen hat in den kriminalpolizeilichen Täter-/Tatsammlungen sein Vorbild; der einstige Präsident des Bundeskriminalamtes war viel Kritik ausgesetzt, als er den Aufbau derartiger Verfahren (mit sozialtherapeutischer Zielrichtung) in Erwägung zog - heute scheut man sich nicht einmal davor, derartige Sammlungen für Wanderzirkusse einzurichten (§ 16 Abs. 5 S. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes, BR-Drs. 763/96).

Es ist nicht verwunderlich, daß auch die Privatwirtschaft diesen Trend aufnimmt. Das "Scoring" bei der Kreditkartenvergabe oder der Datenhunger von Vermietern (vgl. unten 4.4.4) weisen in die Richtung Rastern, über Daktyloskopie als Sicherheitsinstrument wird im Rahmen "biometrischer" Methoden immer lauter nachgedacht, Vorratsspeicherungen in Form "schwarzer Listen" werden in immer mehr Bereichen angelegt.

Wo führt dieser Weg hin? Jedenfalls nicht in eine freiheitlichere Gesellschaft, die wir alle anstreben sollten, sondern mit größerer Wahrscheinlichkeit in eine Gesellschaft, in der - wie es das Bundesverfassungsgericht klassisch formuliert hat - der Bürger von seinen Freiheitsrechten keinen Gebrauch mehr macht, weil er sich vom Staat - und, man wird heute ergänzen müssen, von privaten Unternehmen - beobachtet fühlt.

Bundes- und Europarecht

Die bedeutendsten Neuregelungen des Bundesrechtes im vergangenen Jahr finden sich im Telekommunikationsrecht: Mit dem Inkrafttreten der dritten Stufe der "Postreform" mit dem Telekommunikationsgesetz (TKG) (vgl. unten 4.7.1) ist nunmehr eine (vorläufig?) endgültige Regelung der Telekommunikation erreicht, die zum Teil zufriedenstellende, zum Teil problematische Bestimmungen zum Datenschutz enthält. Ergänzt wird das TKG durch die neue Telekommunikationsdienstunternehmen-Datenschutzverordnung (sic!) (TDSV), die allerdings noch auf der alten Rechtslage aufsetzt (vgl. unten 4.7.1).

Von der Bundesregierung eingebracht wurden im Rahmen des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuK-Dienste-Gesetz) der Entwurf eines Teledienste-Datenschutzgesetzes sowie eines Gesetzes zur digitalen Signatur, die das auf den Netzbetrieb beschränkte TKG um Regelungen im Bereich der Telekommunikationsdienste ergänzen (vgl. unten 4.7.1).

In Kraft getreten sind mehrere Gesetze auf dem Gebiet des Sozialrechts mit einer Reihe von Regelungen zu Datenverarbeitung und Datenschutz, so das neue 7. Buch des Sozialgesetzbuches zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII), ein Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das Mitteilungspflichten zwischen Ausländerbehörden und Sozialleistungsträgern vorsieht, sowie eine Reform des Sozialhilferechts u.a. mit dem bereits erwähnten Ziel, den Datenabgleich zwischen Sozialleistungsträgern zu erleichtern (vgl. unten 4.4.3). In parlamentarischer Beratung befindet sich der Entwurf eines 3. Buches des Sozialgesetzbuches zur Einordnung der Arbeitsförderung (SGB III), die Bemühungen, auch das Recht der Rehabilitation und Eingliederung Behinderter in das SGB einzufügen (SGB IX), sollen wieder aufgenommen werden.

Änderungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes brachten einen Auschluß von Auskünften über Tätigkeiten, die vor 1976 stattfanden, aber auch eine Verlängerung der Frist, bis zu der die alten Datenbestände des Zentralen Einwohnerregisters der DDR genutzt werden können, bis 31.12.2005. Der letzte Punkt war vor Jahren Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen zwischen den Datenschutzbeauftragten und den interessierten Behörden (vgl. JB 1990, 2.1; 1991, 2.2; 1992, 3.2); auch die Möglichkeit, die eigenen personenbezogenen Daten in den Stasiunterlagen anonymisieren bzw. löschen zu lassen, wurde um zwei Jahre auf Anfang 1999 hinausgeschoben.

Veränderungen für alle Verkehrsteilnehmer wird das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes bringen, mit dem vor allem ein Zentrales Fahrerlaubnisregister eingeführt werden soll; das Gesetz wird derzeit im Bundestag beraten ( vgl. unten 4.2.4).

Das datenschutzrechtlich für die nächsten Jahre bedeutsamste Vorhaben ist noch nicht auf den Weg gebracht: die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Datenschutz aus dem Jahr 1995 (Amtsblatt der EG (ABlEG) Nr. L 281 vom 23.11.1995, S. 31). Die Datenschutzbeauftragten haben sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Änderungen des Bundesdatenschutzgesetzes nicht nur unerläßlich sind, sondern auf welche Weise das deutsche Recht insbesondere auch vor auf dem Hintergrund neuer technischer Gegebenheiten weiterentwickelt werden sollte (vgl. Anlage 2.2). Leider ist den Verlautbarungen aus dem Bundesinnenministerium zu entnehmen, daß man dort eine minimalistische Lösung anstrebt (vgl. die Rede von Staatssekretär Werthebach bei der 20. Datenschutzfachtagung (DAFTA) 1996 "20 Jahre Bundesdatenschutzgesetz - vom Stiefkind zum Exportmodell") - damit würde man erneut eine Chance verpassen, die Grundrechte der Bürger zu stärken.

Von zentraler Bedeutung wird die Regelung des Exports personenbezogener Daten ins Ausland sein. Die EU-Richtlinie geht davon aus, daß die Datenübermittlung im Europäischen Binnenmarkt (also z.B. von einem Berliner Unternehmen an ein Unternehmen in Österreich) wie eine Datenübermittlung im Inland zu behandeln ist, soweit die Richtlinie in den beiden beteiligten Mitgliedstaaten umgesetzt worden ist. Dieser Datenexport darf jedenfalls nicht mehr aus Gründen des Datenschutzes unterbunden werden.

Für den Export in außereuropäische Staaten (Drittländer) verpflichtet die

die Mitgliedstaaten der Union, die grenzüberschreitende Datenübermittlung nur in solche Länder zuzulassen, in denen ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist (Artikel 25). Diese Frage hat uns bereits im vorigen Jahr im Zusammenhang mit der BahnCard intensiv beschäftigt (Jahresbericht (JB) 1995, 3.1). Die dort gefundene Vertragslösung wurde auf der 19. Internationalen Datenschutzkonferenz in Ottawa im September 1996 vorgestellt und diskutiert. Es bestand Einvernehmen darüber, daß eine vertragliche Sicherstellung des angemessenen Datenschutzniveaus im Empfängerland außerhalb der Europäischen Union nur ausnahmsweise in Frage kommen kann. Vertragliche Standards können die nationale Gesetzgebung immer nur ergänzen, nie jedoch ersetzen. Andererseits wird sich ein angemessenes Datenschutzniveau nicht kurzfristig durch allgemeine oder sektorielle Datenschutzgesetzgebung in allen Ländern der Erde sicherstellen lassen, die personenbezogene Daten aus Europa importieren. Es ist weder möglich noch akzeptabel, in der Übergangszeit die Datenflüsse entweder ganz zu unterbinden oder ohne jede Sicherung zuzulassen. In dieser Phase können bereichsspezifische vertragliche Lösungen - wie im BahnCard-Fall geschehen - die Rechte der vom Datenexport betroffenen Bürger angemessen schützen. Dementsprechend hat die Arbeitsgruppe "Internationaler Datenverkehr" des Düsseldorfer Kreises unter unserem Vorsitz Leitlinien zur Übermittlung personenbezogener Daten in Länder ohne angemessenes Datenschutzniveau erarbeitet, die der Düsseldorfer Kreis zustimmend zur Kenntnis genommen hat (Anlage 3).

In Europa konzentrierten sich die Aktivitäten nach dem Inkrafttreten der allgemeinen Datenschutzrichtlinie auf die Schaffung datenschutzrechtlicher Regelungen bei einzelnen Spezialmaterien ("horizontaler Datenschutz"), etwa in der erfreulicherweise von Rat und Kommission als Gemeinsamer Standpunkt beschlossenen Richtlinie zum Datenschutz in digitalen Telekommunikationsnetzen (hinter der sich auch Regelungen für die Telekommunikation im allgemeinen verbergen) (s. unten 4.7.1).

Die Arbeitsgruppe nach Artikel 29 der allgemeinen Datenschutzrichtlinie hat ihre Arbeit aufgenommen und in mehreren Sitzungen Einzelfragen der Harmonisierung des europäischen Datenschutzrechts erörtert.

Zum Übereinkommen über die Einrichtung eines europäischen Polizeiamtes vom Juli 1995 (EUROPOL-Konvention) liegt ein Entwurf eines Übernahmegesetzes vor (s. unten 4.1.1), zum Übereinkommen über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich (ZIS-Übereinkommen) (ENFOCustom 16, Ratsdokument 7256-2-95) vom gleichen Datum wird der Entwurf eines Zustimmungsgesetzes erwartet. Die von der Bundesregierung lange verschleppte Übernahme der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz u.a. mit Regelungen zu Bildschirmarbeitsplätzen (Richtlinie 90/270/EWG des Rates v. 29.5.1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten/ABlEG Nr. L 156 S. 14) erfolgte endlich im Dezember auf der Grundlage der Neufassung des Arbeitsschutzgesetzes in der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Artikel 3 der Verordnung zur Umsetzung von EG-Einzelrichtlinien zur EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz v. 4. 12.96, Bundesgesetzblatt (BGBl.) S. 1843).

Keine wesentlichen Impulse zur Fortentwicklung des informationellen Selbstbestimmungsrechts kamen im vergangenen Jahr von der Rechtsprechung, diese war vielmehr geprägt von der - meist restriktiven - Anwendung von im Grundsatz anerkannten Positionen auf konkrete Fallgestaltungen. So sah das Bundesverfassungsgericht weder in der Überprüfung vollständiger Patientenakten durch den Rechnungshof (Recht der Datenverarbeitung (RDV) 1996, 184) noch im Vergleich von Genomanalysen bei Straftaten aufgrund der Bestimmung des § 81 a StPO (die die Besonderheit dieser Methode in keiner Weise berücksichtigt)(Juristenzeitung 1996, 1175) oder in der Verwendung des äußerst umstrittenen ICD 10-Codes im Rahmen der Diagnoseverschlüsselung beim Meldeverfahren gegenüber den Krankenkassen (Neue Juristische Wochenschrift (NJW 96), 771 Beschluß v. 7.2.96 - 1 BvR 2399/95 -) einen verfassungswidrigen Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Lediglich die Bedenken gegen die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes bei der Überwachung des Telefonverkehrs zu Zwecken der Strafverfolgung wurden bestätigt (Beschluß v. 10.12.1996 Az. 1 BvR 2226/94), ohne daß es hier bisher zu einer abschließenden Entscheidung gekommen ist.

1.2 Datenschutz in Berlin

Die Grundstimmung in Berlin folgte tendenziell derjenigen im ganzen Bundesgebiet. Auch hier stand im Vordergrund die Behauptung, der Datenschutz behindere die Arbeit der Verwaltung, insbesondere die Strafverfolgung, ungebührlich. In einer Entschließung (Drs. 13/1148) hat das Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert, zu letzterem einen Bericht zu erstellen; der Datenschutzbeauftragte soll Gelegenheit erhalten, hierzu Stellung zu nehmen.

Bereits jetzt läßt sich allerdings feststellen: Die ständig wiederholte Behauptung, die organisierte Kriminalität nehme bedrohlich zu und mache deshalb eine Ausweitung der Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden - und daraus ergeben sich in der Regel weitere Einschränkungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts - erforderlich, läßt sich jedenfalls an den zuletzt vorgelegten Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht nachweisen. In dem entsprechenden Kapitel der PKS für das Jahr 1995 wird vielmehr seit 1993 ein kontinuierlicher Rückgang der Fallzahlen festgestellt: Von 5 088 Fällen im Jahr 1993 auf 4 567 Fälle im Jahr 1994 sowie auf 4 233 Fälle im Jahr 1995; die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen fiel in diesem Zeitraum von 3 942 auf 3 467. Die Zahl der entwendeten Kraftfahrzeuge fiel geradezu dramatisch: bei der Marke Mercedes-Benz, nicht älter als zwei Jahre, von 801 (1994) auf 233 (1995). Auch die immer wieder vorgebrachten Klagen über den Anstieg des Sozialleistungsbetrugs, die auch in Berlin etwa zur bereits erwähnten Forderung nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung führten, lassen sich jedenfalls auf die Statistik nicht stützen. Die Zahlen beim "Leistungsbetrug", der Straftat, unter die die entsprechenden Straftaten fallen, sprechen eine andere Sprache: Sie sanken von 1 039 Fällen im Jahr 1992 auf 430 im Jahr 1995. Dies kann nur bedeuten, daß vor allem in der Presse herausgestellte Einzelfälle die Vermutung fördern, daß es zu einem Anstieg dieser Art der Kriminalität gekommen ist, ohne daß das tatsächlich der Fall ist.

Statt auf Grund bestimmter Stimmungen immer neue Ermittlungsmethoden zu fordern und damit den Datenschutz einzuschränken, sollte man sich auch in Berlin darauf konzentrieren, im Rahmen der bestehenden Gesetze (die weit genug sind) Kriminalität gezielter zu bekämpfen.

Da im vergangenen Jahr eine neue Legislaturperiode einsetzte und der neue Senat im wesentlichen mit Fragen der Haushaltskonsolidierung befaßt war, sind neue Gesetzesinitiativen kaum zu verzeichnen. Die Gesetzgebung der vergangenen Jahre hat ohnehin in weiten Bereichen Datenschutzbestimmungen geschaffen (die allerdings durchaus verbesserungsbedürftig sind). Nur das lange angemahnte Sicherheitsüberprüfungsgesetz läßt immer noch auf sich warten, so daß Sicherheitsüberprüfungen in Berlin nach wie vor ohne Rechtsgrundlage durchgeführt werden.

Als Aufgabe für die nächste Zeit steht die Anpassung des Berliner Datenschutzgesetzes an die EU-Richtlinie an. Sie entfaltet durchaus auch für die Berliner Verwaltung Wirkung, insbesondere da, wo eine Gemengelage zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Vorgehen besteht.

Im Gegensatz zur Gesetzgebung machte im vergangenen Jahr die Umsetzung des Datenschutzes und die Gewährleistung einer hinreichenden Kontrolle in Berlin Probleme. Konnte früher davon berichtet werden, daß die Berliner Verwaltung der Umsetzung des Datenschutzes relativ aufgeschlossen gegenübersteht, mehren sich die Fälle, in denen sich einzelne Stellen weigern, die gesetzlichen Vorgaben zu akzeptieren und die gesetzlich vorgeschriebene Zusammenarbeit mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten sicherzustellen. Hierzu wird unten noch näher berichtet ( vgl. unten 5.2.3).

Die früher insbesondere von der Innenverwaltung vorgebrachte Befürchtung, die Übertragung der Aufgaben der Aufsichtsbehörde für den privaten Bereich auf den Datenschutzbeauftragen werde bei Berliner Unternehmen zu Widerständen und zurückgehender Kooperationsbereitschaft führen, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr ist es auch bei stark angestiegenen Fallzahlen im wesentlichen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den geprüften Betrieben gekommen; die in der Verwaltung zunehmende Skepsis findet keine erkennbare Entsprechung in der Privatwirtschaft - was natürlich auch mit dem Umstand zu tun hat, daß die Regelungen in diesem Bereich (noch) erheblich großzügiger sind als im öffentlichen Sektor.

Hinzu kommt, daß die Privatwirtschaft zunehmend erkennt, wie wichtig der Datenschutz für die Akzeptanz bestimmter Produkte und Dienstleistungen durch den Kunden ist - eine Erkenntnis, die sich in der öffentlichen Verwaltungsreform erst durchsetzen muß.

Zuletzt geändert:
am 10.04.97

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